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Wie Unternehmenskultur von Freier Software profitiert

Bernhard Reiter <bernhard@intevation.de>
intevation.de

Eingereichte Version vom 4.4.2001
Webfassung: 31.5.2001 und 19.2.2009 kleinere Korrekturen, Tippfehler und alte Verweise verbessert.

Zusammenfassung
Die Philosophie hinter Freie Software ist gut für die Unternehmenskultur. Sie fördert moderne Werte, wie Kooperation, Selbstorganisation und Verantwortungsbewusstsein. Unternehmenskultur sollte sich auf Freie Software einstellen, damit das Unternehmen nachhaltig profitieren kann. Dieser Artikel erklärt kurz die Freie Software-Philosophie und motiviert warum es für Unternehmenskultur und Unternehmensethik interessant sein, kann etwas davon zu übernehmen.

Einleitung

Die Frage nach Freier Software und dem Unterschied zu "Open Source" ist beileibe keine langweilige. Auf den ersten Blick mögen die Unterschiede gering sein und die Debatte darum unnötig, doch genau dann wird der spannendste Teil übersehen. Einig sind sich beide Bewegungen { Korrektur 19.2.2009: Es handelt sich, besser gesagt, um zwei Strömungen innerhalb einer Bewegung. } über die praktischen Vorteile von Freier Software im Entwicklungsmodell. Uneins sind sie sich darüber, wie dies kommuniziert werden sollte. Freie Software begründet das Konzept seit 16 Jahren auf Werte und philosophische Überlegungen. Und genau um diese und deren Beziehung zur Wirtschaft geht es im Folgenden. Es wird darauf verzichtet die Anforderungen an Lizenzen für Freie Software oder "Open Source" im Detail zu klären, da dies an anderer Stelle gut nachlesbar ist. Das gilt ebenso für die Vorteile bei der Softwareentwicklung.

Was ist Freie Software?

Der Urheber einer Software kann diese zu Freier Software machen, in dem er eine Lizenz verwendet, unter welche dauerhaft folgende Freiheiten zusichert:
  1. Die Software unbegrenzt und für jeden Zweck verwenden zu dürfen.
  2. Untersuchen zu dürfen, wie eine Software funktioniert und sie den eigenen Bedürfnissen anpassen zu dürfen. (Zugang zum Quelltext ist dafür eine Vorraussetzung.)
  3. Die Software kopieren und an Andere weitergeben zu dürfen.
  4. Die Software zu Verbessern und die Verbesserungen allen zugänglich machen zu dürfen. (Zugang zum Quelltext ist dafür eine Vorraussetzung.)
Richard M. Stallman hat diese Prinzipien in dieser Form als erster in den frühen 80er Jahren formuliert. { Korrektur 19.2.2009: Die Form mit vier Freiheiten gab es erst Ende der 90er. } Es lag ihm daran den Grundgedanken von freiem Wissenaustausch und Diskussion, wie es in der Wissenschaft üblich ist für Software zu bewahren. Er erkannte ausserdem, dass Software als Werkzeug zur Kulturtechnik werden würde und somit die Frage der Abhängigkeit zwischen Hersteller und Verwender auch eine politische Frage ist. Ihm ging es darum die Interessen der Gesellschaft in Bezug auf die Informationstechnik zu wahren. In Folge gründete Stallman 1984 { Korrektur 19.2.2009: 1985 } die Free Software Foundation (FSF), die sich mit dem GNU Projekt der Aufgabe verschrieb, ein freies Betriebssystem mit Anwendungen zu entwickeln. Uns allen dürfte bekannt sein, dass diese Bemühungen zum Erfolg geführt haben und wir heute über GNU/Linux Systeme verfügen.

Im Gründungsland der FSF, der USA, wird in Debatten immer wieder stark polarisiert. Sowohl die Gegner, wie die Anhänger der FSF berufen sich auf die amerikanischen Grundwerte und beleidigen sich gegenseitig als Kapitalisten oder Kommunisten.

Aus Sicht der heutigen Wirtschaftsforschung und dem europäischem Blickwinkel ist diese Debatte nicht ernst zu nehmen. Wir wissen heute, dass der Sozialismus in der Praxis nicht funktioniert, aber auch der Kapitalismus in reinerer Form auch keine ernsthafte Wahl ist. Nicht umsonst haben wir hier in der Bundesrepublik Deutschland eine soziale (und umweltbewusste) Marktwirtschaft. Weiterhin gesucht wird nach immer besseren Mischungen von Regelung und Freiraum durch die Politik. Die FSF und die neue europäische Schwesterorganisation FSFE sind der Überzeugung, dass die oben beschriebene Freiheit von Software-Nutzern einen hohen Wert darstellt und auch politisch gefördert werden muss.

Und Open Source?

Die Open Source Initiative(OSI) wurde 1998 gegründet, um das Konzept Freier Software besser vermarkten zu können. Die philosophischen und politischen Grundlagen werden dabei bewusst aussen vor gelassen, da sie für das Image als schädlich angesehen werden.
The Open Source Initiative is a marketing program for free software. It's a pitch for "free software" on solid pragmatic grounds rather than ideological tub-thumping. The winning substance has not changed, the losing attitude and symbolism have.
www.opensource.org/advocacy/faq.html Abruf April 2001

Der Vordenker der OSI, Bruce Perens ist mittlerweile der Meinung, dass es wieder Zeit ist von Freier Software zu reden und die weiteren Werte der Bewegung zu vermitteln. ( http://slashdot.org/articles/99/02/18/0927202.shtml)

Philosophische Grundlagen Freier Software

Computer sind die komplexesten Werkzeuge, welche die Menschheit je erschaffen hat. Es ist anzunehmen, dass wir dieses Werkzeug noch lange nicht ausreizen.

Sich gegenseitig bei der Beherrschung der Technik zu helfen ist einer der Grundeinstellungen von Computer-Experten oder "Hackern" (im Gegensatz zu den "Knackern" oder "Crackern, welche mit krimineller Energie eher auf Zerstörung aus sind). Die Grundeinstellung Informationen und Wissen zu teilen stammt für die Softwarewelt noch aus der Zeit, als Computer nur von Wissenschaftlern bedient wurden. Nur so konnten die Entwicklungen gemeinsam durchgeführt und voran gebracht werden.

Eine besonders elegante Lösung für ein Problem zu finden und dieses weiterzugeben hat einen hohen Stellenwert. Oft interessiert dabei einfach nur die Lösung des Problems, welches aus verschiedener Quelle kommen kann. Die Urheber von substanziellen Ideen, Dokumenten oder Quellkode machen sich einen Namen. Es wird deshalb Wert darauf gelegt, die beteiligten Personen in gerechtem Anteil zu nennen. Da es noch so viele Probleme zu lösen gibt, wird Zeitverschwendung oft als Übel angesehen und alles was zu mehrfacher Doppelarbeit führt, vermieden.

Möglichkeiten mit der Technik spielerisch umzugehen und sie auseinander zu bauen, um die Funktionsweise zu verstehen, wird in der Philospohie der Freien Software als elementar wahrgenommen. Deshalb muss es Zugang und Erlaubnis zum freien Umgang mit Quelltext geben.

Kurz gesagt, ist die Philosophie von Freier Software durch kooperatives Miteinander geprägt. Menschen sollten das Recht haben frei mit Software umzugehen, Informationen werden grundsätzlich nicht zurückgehalten. Die Bewegung trägt viele liberale Züge, was die Toleranz von verschiedenen Lebenseinstellungen angeht.

Werte, Ethik und Kultur bei Unternehmen

Kein Unternehmen ist unpolitisch. Genauso wie keine Person wirklich unpolitisch sein kann. Sich bei einem Thema nicht einzubringen ist auch eine politische Handlung. Entsprechend hat jedes Unternehmen einen internen und externen Umgang mit Politik, der Unternehmenskultur und Unternehmensethik.

Unternehmenskultur

Die Grundlage jeder unternehmerischer Tätigkeit ist der angestrebte Gewinn. Unternehmen lassen sich aber nicht darauf reduzieren und verstehen. Sie bestehen aus Mitarbeitern, haben eine Identität und eigene Kultur. Für das langfristige Steuern eines Unternehmens sind viele Dinge wichtig, die nicht direkt in Kennzahlen oder monetären Werten gemessen werden können. Trotzdem wird eine gute Geschäftsleitung diesen Dingen Bedeutung beimessen. Explizit darüber nachgedacht wird vor allem in großen Unternehmen, welche nicht mehr direkt von bestimmten Personen abhängen und trotzdem lange erfolgreich sein wollen. Bei mittelständigen oder kleinen Unternehmen entwickelt sich meist durch die prägenden Personen ebenfalls eine Unternehmenskultur.

Unternehmenskultur, das sind in erster Linie die Wertvorstellungen und Verhaltensweisen der Menschen eines Unternehmens. Normalerweise kommt sie implizit zur Anwendung, trägt aber entscheidend zu Erfolg oder Misserfolg eines Betriebes bei. Umfragen zu Folge ist eine gute Unternehmenskultur einer der wichtigsten Faktoren für ein erfolgreiches Unternehmen. Das gilt vor allem für Jungunternehmen, die mit dem Internet arbeiten.

Unternehmsethik

Unternehmen arbeiten nicht losgelöst von der Gesellschaft, sondern sind ein Teil von ihr. Sie brauchen Politik, Bildung und Kultur genauso, wie die Gesellschaft sie braucht. Deshalb sind allgemein anerkannte Werte für die Unternehmen wichtig. Die bisherigen Regeln von Demokratie, Meinungsfreiheit und Wettbewerbsfreiheit ermöglichen erst eine starke Wirtschaft, wie wir sie zum Beispiel hier in Europa gewohnt sind. Unternehmen, welche die Werte besonders gut verstehen sind meist erfolgreicher.

Deshalb gibt es eine Unternehmensethik, welche das Verhältnis des Unternehmens zum Umfeld bestimmt. Viele grosse Unternehmen glauben, dass eine solche Ethik zur veranwortungsvollen und erfolgreichen Unternehmensführung dazugehört. Oft wird vom "Standortvorteil Ethik" oder "Produktionsfaktor Ethik" gesprochen.

Wie passt Freie Software Philosophie ins Unternehmen

Die Philosophie Freier Software passt sehr gut zu einer markt- und mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur. Kooperation ist in der neueren Wirtschaftsforschung das entscheidende Mittel, um in der Informationsgesellschaft eine wettbewerbsfähige und funktionierende Wirtschaft zu sichern. Und Kooperation ist die Grundhaltung der Freien Software Philosophie.

Volkswirtschaftlich

Die Verwendung von Freier Software reduziert Doppelarbeit und nutzt das Potential der begrenzten Anzahl von Computer-Spezialisten besser. Es macht einen riesen Unterschied, ob zehn Unternehmen eine Lösung zu einem Problem entwicklen oder nur zwei bis drei. Die anderen können sich bereits auf die nächste informatische Lösung stürzen. Trotzdem steht bei Freier Software allen zehn Unternehmen das Gesamtpaket zur Verfügung, um es den Klienten als Lösung zu verkaufen. Davon profitieren auch diese. Es mag sein, dass die Umsatzzahlen in der Softwaresparte dadurch sogar sinken, aber wir können diese Branche nicht isoliert betrachten. Die anderen Branchen werden von besserer Software um so mehr profitieren. Eine gute IT-Abteilung ist zum Schlüssel eigentlich jedes Unternehmen geworden. Und was volkswirtschaftlich nutzt ist langfristig auch gut für die einzelnen Unternehmen. Deshalb kann Einbeziehung der Philosophie der Freien Software in die Unternehmensethik empfohlen werden.

Betriebswirtschaftlich

Eigentlich gibt es ja zwei Arten von Unternehmen in Bezug auf Software. Die einen stellen Software her und die anderen nutzen sie. Zur zweiten Gruppe gehören eigentlich alle Unternehmen, selbst wenn sie selbst Software herstellen, kommen sie nicht ohne Produkte anderer Softwarehersteller aus. Der Gewinn hängt allerdings bei Softwareunternehmen von dem geschöpften Mehrwert ab. Ob dieser in der Software selbst liegt ist nicht umbedingt so sonnenklar, wie es scheint. Kunden, selbst wenn es Softwarehäuser sind, wollen Lösungen und die größten Kosten sind Migration, Anpassung und Pflege der Lösungen. Mit Freier Software kann mit Lizenzen kein Geld verdient werden, also gibt es eine Hinwendung zu einer klareren Abrechnung dieser dienstleistungsorientierten Tätigkeiten.

Der Einsatz und das Beschäftigen mit Freier Software ergibt einen Kontakt zwischen der Philosophie und der Unternehmenskultur. Dies fördert Verhaltensweisen, welche in der Regel als sehr positiv angesehen werden.

Wettbewerbsfreiheit und unternehmerische Freiheit

Freie Software läßt die Abhängigkeit von Hersteller und Anwender von Software geringer werden. Als Beispiel sei genannt, wenn ein Herstellerunternehmen unerwartet Konkurs geht und den Support oder die neuen Versionen nicht mehr leisten kann. Bei Freier Software ist mir trotzdem die Nutzung weiterhin möglich und ich kann andere Unternehmen beauftragen mir weiterhin Dienstleistung am Produkt zu verkaufen.

Als Softwarenutzer ist dies sehr angenehm, weil ansonsten der Hersteller einer Software sobald ich mich für das System entschieden habe, mir praktisch bis kurz vor die Migrationskosten Geld abnehmen kann, da ich an ihn gebunden bin. Andere Unternehmen haben dann oft beim Service keine echte Chance in den Wettbewerb mit dem Hersteller zu treten. Bei Freier Software fallen keine Lizenzgebühren an und ich habe den vollen freien Wettbewerb der Anbieter von Dienstleistung. Freiheit von Software bedeutet für mich als Unternehmer auch, dass ich mehr unternehmerische Freiheit habe, diese zu neuen Produkten weiter zu entwicklen und zusammen zu stecken.

Die proprietären Softwarelizenzmodelle bringen nicht nur Vorteile für Softwareunternehmen, sondern schränken die unternehmerische Freiheit ein, da jedes Softwareunternehmen auch andere Software nutzt. Weiterhin übernimmt ein Unternehmen durch Mitarbeit an Freier Software gesellschaftliche Verantwortung. Genau das wird auch als erforderlich angesehen, um Unternehmen und Gesellschaft zukunftsfähig zu halten, denn:

Der individuellen Freiheit muss eine Verantwortung für das Ganze entsprechen.
http://www.unternehmenskultur.org/Steinman.pdf (Abruf April 2001) Vortrag: "Basis für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen und Gesellschaft" Horst Steinmann, Universität Erlangen-Nürnberg, PDF Seite 17

Selbstständigkeit

Wenn intern jeder Mitarbeiten mehr Freiheit hat, sowohl über eigene wie auch die verwendete fremde Software zu reden wie es bei Freier Software verlangt wird, dann fängt er auch an anders zu kommunizieren. Er kann meist direkter mit internen und externen Entwicklern, Testern und Anwendern kommunizieren. Das führt zu einer grösseren Selbstständigkeit. Der Mitarbeiter muss zum großen Teil selbst verantworten, was er kommuniziert, auch wenn er nicht offiziell für das ganze Unternehmen spricht.

Motivation

Jemand der freier über einen Teil seiner Arbeit bestimmen kann, ist meist viel motivierter. Eine solche Person bringt mehr von sich ein und identifiziert sich mehr mit dem Produkt. Es ist einfach sehr gut zu wissen, dass der eigene Vorschlag nun in tausenden von Computern funktioniert. Damit ist auch der eigene persönliche Name verbunden. Selbst wenn das Unternehmen einmal das Projekt umwirft, können Teilergebnisse Anderen zur Verfügung stehen.

Es macht also Sinn einem Mitarbeiter einen Teil seiner Arbeitszeit dafür einzuräumen an Freier Software zu arbeiten und dafür auch die Ressourcen des Unternehmens zu nutzen. Meist besteht die Tätigkeit dann sowieso in Beziehung zu der Tätigkeit im Unternehmen.

Wissenstransfer und Weiterbildung

Die Bereitschaft zu Teilen ist ein Faktor, der signifikant den Wissenstransfer und Umsetzung von Wissen innerhalb einer Organisation beeinflusst. Der Grundwert Freier Software des unkonventionellen Teilens von Informationen passt hier ideal. Da das Vermitteln von Wissen als noble Aufgabe angesehen wird, funktioniert so auch die individuelle Belohungsstrategie.

Kundennähe

Wie beschrieben werden Informationen in der Freien Software-Philosophie in der Regel nicht verborgen. Das führt zu einer Chance von direkterer Kommuniktation von Kunden zu Mitarbeitern in verschiedenen Schichten des Unternehmens. Die Nähe von Anwender, Entwickler und Tester von Software führt dazu, dass Freie Software schneller und zielgerichteter entwickelt wird. Das funktioniert aber nicht nur bei Software. Viele Unternehmen, auch solche in der Softwarebranche, beantworten einfach keine E-Mails. Aus welchem Grunde auch immer scheinen schnelle kompetente Antworten für grössere Unternehmen schwierig zu sein. Aber auch kleinere Unternehmen haben damit Schwierigkeiten. Ein Unternehmen, was Mitarbeiter hat, die Erfahrung mit der Kommunikation innerhalb von Freien Software-Projekten haben, profitieren davon, dass dort direkt und zielgerichteter kommuniziert wird. Was sich wie ein Widerspruch anhört gelingt: Die Selbstorganisation führt zum mehr Kundenorientiertheit.

Marketing

Es häufen sich die Anzeichen dafür, dass Marketing im klassischen Sinne, es in der Wissensgesellschaft immer schwerer hat. Bannerwerbung zum Beipiel funktioniert auf Webseiten einfach nicht. Die Produkte werden immer komplizierter. Die großen Marketing-Budgets der Jungunternehmen mit Internetausrichtung und Risikokapital zeigen, wie schwierig und kostenintensiv es ist eine Marktnische zu besetzen. Weiterhin kommt damit auch nicht automatisch der finanzielle Erfolg. Die Endkunden im Netz sind oft mit einem Mausklick weg.
Gute Werbung macht, wer die Materie seines Kunden in allen Zusammenhängen versteht. Vieles unterliegt gerade einem Wandel. Konkurrenten können Partner sein, der Handel hat die Macht über den Preis an den Verbraucher abgegeben, und neue Technologien machen Produkte möglich, die auf jeden Kunden individuell zugeschnitten sind. Das Marketing nimmt dabei zunehmend Aufgaben von Produktmanagern wahr.
'Lernen, wie die neue Wirtschaft tickt' Sebastian Marquardt in BrandEins Ausgabe 10 2000, Seite 154

Gutes Marketing kann für Software nur mit technische Fachkenntissen gemacht werden. Es wird vor allem in vielen kleinen Kundenkontakten ein Verhältnis zwischen Unternehmen und Kunden aufgebaut. Freie Software-Philosophie fördert die Verantwortung einzelner Mitarbeiter und den Wissenstransfer im Unternehmen. Es ist eine Erfahrung, dass Vertreter von Unternehmen, welche viel mit Freier Software zu tun haben, dieses modernere Marketing viel besser beherrschen.

Wissensmanagement

Unser Wissenschatz wächst immer mehr an. Mehr Informationen fliessen an uns vorbei. Das nennen wir Informationsgesellschaft. Die neue Herausforderung liegt darin mit der Flut der Informationen und der Erkenntnisse fertig zu werden. Dabei ist das Werkzeug Computer zur Zeit das beste was wir haben. (Weizenbaum vertritt in seinem Buch: "Computer Power and Human Reason", 1976 berechtigt die These, dass wir durchaus Alternativen zu Verfahren entwickeln könnten, für die wir heute den Computer für unverzichtbar halten. Solche Verfahren für das Wissensmanagement sind dem Autor jedoch bisher nicht bekannt.)

Beispiel: Wer etwa eine handvoll Bücher besitzt, hat kein Problem damit sie einfach auf einen Haufen ungeordnet liegen zu lassen und wird trotzdem das richtige Buch enorm schnell finden. Kein Wunder, alles übersichtlich und die Titel wohl auch bereits im Kopf. Bei ein paar hundert Büchern ist das nicht ganz so leicht und ein Regal und alphabetische oder thematische Sortierung können sehr hilfreich sein. Bei mehreren zehntausend brauchen wir schon eine Bibliothek, aber was ist wenn wir auf die nächsten Grössenordnungen gehen (100.000) und dann mit dem Internet? Die Methoden um diese Mengen von Büchern zu sortieren und wirklich schnell zu finden, was gebraucht wird sind noch nicht entwickelt oder im Einsatz.

Bei Unternehmen liegt die Lage ähnlich. Es gibt immer mehr Spezialisten und Literatur zu eigentlich jedem Tätigkeitsfeld von Unternehmen. Deshalb wird die Beauftragung anderer Unternehmen für Aufgaben ausserhalb des Kerngebiets auch immer populärer. Damit wird eine Aufteilung der eigenen Resourcen vermieden und diese können auf das Kerngeschäft konzentriert werden. Aber auch für das Kerngeschäft gilt, dass immer mehr Wissen integriert werden muss. Zum Beispiel über die Kunden und über politische Rahmenbedingungen. Deshalb kann Wissensmanagement, über den Erfolg und Misserfolg eines Unternehmens entscheiden.

Die Philosophie Freier Software besitzt das größte Potential für neue Ansätze des Wissensmanagement. Wie wir schon gesehen haben ist die Kultur Wissen auszutauschen und anderen beim Lernen zu helfen ein Wert, der unbürokratisch eine bessere Organisation auf Ebene der Mitarbeiter anstoßen kann. Auf dem Internet sind im großen Werkzeuge der Zusammenarbeit geschaffen worden, welche einen Erfolg haben der durch die jahrelange "Computer Supported Coperative Work"- oder Groupware-Forschung noch nicht ermöglicht werden konnte. Beispiele dafür sind Freshmeat, Slashdot, das GNU-Projekt und Sourceforge.

Die Teilnahme an Entwicklungen und damit an der Freien Software-Gemeinschaft schaffen mehr Gefühl für das Verwalten und Finden von Informationen in wirklich großen und verzweigten Wissensbereichen, eine Fähigkeit die in allen Unternehmen gefragt ist.

Quellen und Verweise

Organisationen

Free Software Foundation (FSF), USA
www.fsf.org
Free Software Foundation Europe (FSFE)
fsfeurope.org
Open Source Initiative
www.opensource.org
Initative der Hans-Böckler und Bertelsmann Stiftungen für markt- und mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur
www.unternehmenskultur.org/uk/

Dokumente

HOWTO become a Hacker
http://catb.org/~esr/faqs/hacker-howto.html
Hacker FAQ
http://www.seebs.net/faqs/hacker.html

Über den Autor: Bernhard Reiter ist Diplom Systemwissenschaflter und MSc in Geographie. Als Ansprechpartner für Deutschland bei der FSF Europe und 2. Vorsitzender des FFII ist er privat stark für Freie Software engagiert. Als einer der drei Gründer und Geschäftsführer der Intevation GmbH widmet er sich auch beruflich der strategischen IT-Beratung um Freie Software.